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Gedanken zur Jahreslosung

Nachricht 04. Januar 2022

Moin und herzlich Willkommen im neuen Jahr 2022! Ich hoffe für uns alle, dass dieses Jahr ein 3G-Jahr wird: gesegnet, gesund und glücklich.

Zum neuen Jahr gibt es auch wieder eine Jahreslosung, quasi eine "biblische Überschrift" für das Jahr. Diese steht diesmal im Johannesevanglium und hier lesen Sie meine Predigt zur Jahreslosung, gehalten am 2. Januar in der Thomas- und Matthäuskirche:

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„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Joh 6,37)

Ja, ich bekomme gerne Besuch! Ich freue mich über Menschen, die kommen und mit denen ich einen Kaffee oder ein Bierchen trinken kann. Ich freue mich über Gespräche: lustige und ernste, belanglose und tiefe.

Nein, ich bekomme nicht gerne Besuch! Manchmal nervt es, wenn Leute vor der Tür stehen. Unangekündigt. Und ich habe keine Zeit. Nicht immer ist da, was ich meinem Gast anbieten will. Nicht immer ist es so aufgeräumt und sauber, dass ich ihn reinlassen will. Sowohl in meiner Wohnung als auch in meine Seele. Und nicht immer stehen die Menschen vor der Tür, die in diesem Moment die Richtigen sind.

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Ich bin noch so aufgewachsen: Es gab Nachbarn und Freunde, da konnte ich immer hin und durfte ins Haus. Die Tür war immer offen. Heute sterben die unangekündigten Besuche aus. Besuche werden geplant, Stunden, wenn nicht Tage vorher. Verabredet, per Telefon oder wahrscheinlicher WhatsApp – muss ja alles in den Terminkalender passen. Und Bitte: Bloß keine Überraschung. Wenn ich daran denke, wie wir früher sonntags einfach zu Verwandten gefahren sind, um ‘ne Tasse Tee zu trinken. Ich glaub nicht, dass die immer mit uns gerechnet haben.

Wenn es klingelt oder klopft, gehe ich im Kopf oft schnell alle Optionen durch: Paket? Bestellung? Verabredung oder Termin: Eventuell zu früh oder hab‘ ich was vergessen? Einfach jemand mit einem Anliegen für den Herrn Pastor oder die Gemeinde oder will doch nur jemand was verkaufen? Meistens öffne ich unbedarft die Tür.

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Es klingelt. Es klopft. Was machst du? Nimmst du deine Gegensprechanlage oder schaust durch den Spion? Jedes Mal? Oder weißt du sowieso, wer es ist, und öffnest die Tür? Oder machst du dir einfach gar keine Gedanken und öffnest und lässt ankommen, reinkommen, wer auch immer da vor deiner Tür steht?

Es klingelt. Es klopft. Öffnest du die Tür? Lässt du den zu dir, der vor der Tür steht? Unangekündigt – oder ist dein erster Gedanke: Lieber nicht öffnen. Lieber abweisen!

„Klopfet an, so wird euch aufgetan.“ (Mt 7) ist von Jesus überliefert. Er erzählt den Jüngern, was sie erwartet, wenn sie in seinem Auftrag unterwegs sind. Wie man merkt, ist Jesus ganz optimistisch. Den Grund für seinen Optimismus legt er selbst mit dem Wort, das zur Jahreslosung für 2022 bestimmt ist.

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Mit der Losung werde ich schon seit einigen Wochen konfrontiert und gefragt, wie wir denn die Gottesdienste nur unter 2G feiern könnten, wenn Jesus doch gerade dieses Wort sagt. Wie wir denn ausgerechnet an Heiligabend durch 2G so viele Menschen ausschließen können. Wie es sein kann, dass nicht alle Menschen bei uns willkommen sind. Klar, wir sollen niemanden abweisen. Und tun es doch. Oder? Ich meine: Wir schließen niemanden aus. Wir schützen die, die uns anvertraut sind. Und – das ist mehr als gut erforscht und erwiesen – das gelingt am besten mit der Impfung.

Und als Kirche, das ist mir seit einiger Zeit klar, sind wir immer ausschließend, exklusiv. Stellt euch mal vor, wie es den Konfis geht, wenn sie einen Gottesdienst besuchen und keine Ahnung haben, was wir an welcher Stelle singen oder sprechen und warum das eigentlich so selbstverständlich vonstatten geht. Eigentlich ist jedes Angebot exklusiv. Uns ist das nur oft nicht klar, weil wir denken, dass doch jeder willkommen ist. Nur: Weiß „jeder“ das auch?

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Ich denke an die Bilder in den Nachrichten: Die Bilder von der Grenze zur EU. Menschen in der Kälte und die Kälte der Sicherheitskräfte vor Ort. Im Nirgendwo zwischen Belarus und Polen. Wie es dazu kam, dass so viele dort sind und nicht weiterwissen, ist die eine Sache. Wie man diesen Menschen am besten helfen könnte, darüber wird zu wenig gesprochen.

Oder die nicht endenden Bilder gekenterter Boote im Mittelmeer und die lapidare Schätzung, wie viele Menschen wohl diesmal ertrunken sind. Gefolgt von Bildern von den Schiffen der Seenotretter, die keinen europäischen Hafen finden und tagelang ohne Hoffnung auf dem Meer treiben.

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Wer könnte von sich sagen, dass er keinen abweist, der zu ihm kommt? Die Europäische Union kann es im Moment nicht. Und das nervt und macht mich traurig.

Vielleicht werden wir die Jahreslosung dieses Jahr gut für unseren inneren Kompass gebrauchen können. Denn wie sich die Lage von Geflüchteten auf der Erde entwickelt wird, wissen wir nicht. Wie sich die Stimmung in unserem Land und in der EU gegenüber Migrant*innen entwickelt, genauso wenig.

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Jesus sagt diese Worte nicht nur als Optimist, sondern als Sohn Gottes. Wir haben die Lesung gehört, den Kontext der Losung.

Warum sollten wir zu Jesus kommen? Was erhoffen wir von ihm? Was bekommen wir von ihm? Dass er mit dem Zauberstab über die Erde geht und sie verwandelt? Dass endlich Frieden herrscht? Dass endlich die Gerechtigkeit siegt? Dass keine Menschen mehr erfrieren und ertrinken? Dass endlich die Klimaziele eingehalten werden? Dass endlich die Pandemie endet? Oder dass er sich um mich kümmert? Dass er meine Krankheit heilt, meinen Kummer stillt, meine Sorgen auflöst?

Was bekommen wir von Jesus, wenn wir zu ihm kommen? Sein Wort, sein Versprechen: „Ich werde dich nicht abweisen.“ Du bist nicht umsonst gekommen. Hier bist du richtig. Ich höre, was du mir sagst. Ich nehme auf, was du mir sagst. Ich nehme dich auf. So wie du bist.

Jesus verwandelt nicht die Welt. Nicht auf einen Schlag und mit einem Zauberstab schon mal gar nicht. Jesus verwandelt Menschen, von innen heraus. Damit sie ermutigt, gestärkt und getröstet in dieser Welt bestehen. Damit sie, die Menschen, die Welt verwandeln.

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Die Jahreslosung für 2022 mag dieses Jahr eine Erinnerung und Mahnung für uns sein: Beschäftigt euch nicht damit, wie man Menschen am besten abweisen kann. Fragt euch lieber, wie es gelingen kann, dass keiner abgewiesen werden muss.

Also lasst uns nicht an dem Wort „abweisen“ hängen bleiben. Es gibt genug Geschichten davon, wo Menschen in ihrem Leben abgewiesen wurden. Aber Jesus geht es ja gerade nicht um das Abweisen, sondern um das Gegenteil:

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Ihr kennt bestimmt das Wort Synonym: Unterschiedliche Worte haben die gleiche Bedeutung. Es gibt auch Antonyme. Ein Antonym beschreibt genau Gegenteil eines Wortes. Für „abweisen“ gibt es einige Antonyme: akzeptieren, aufnehmen, annehmen, empfangen, entgegenkommen, erhalten, sind ein paar davon.

Wie wäre es, wenn wir uns zu jedem dieser Worte in diesem Jahr gegenseitig eine Geschichte erzählen würden? Wie wäre es, wenn wir uns berichten, wie wir akzeptiert, angenommen, aufgenommen, empfangen, erhalten wurden?

„Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich aufnehmen und annehmen und akzeptieren, dem werde ich entgegenkommen und in seinem Glauben an mich erhalten.“

Dass Jesus genau das tut, erleben Menschen jeden Tag aufs Neue. Die Jahreslosung mag unsere Gedanken, Augen und Ohren auf genau solche Geschichten lenken, dass wir uns im neuen Jahr gegenseitig viele dieser positiven Geschichten erzählen können, dass das neue Jahr ein gutes und gesegnetes Jahr 2022 wird!

Amen.

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Pastor Matthias Groeneveld

Inspiriert von united4rescue, Martin Anefeld und Dirk Hartung - Danke!