Voneinander & miteinander lernen - 50 Jahre Partnerschaften
Die Ostpolitik von Willy Brandt machte es möglich: Seit den 80er Jahren gibt es die Partnerschaft mit Leipzig, damals Gedächtniskirchgemeinde Schönfeld, heute "fusioniert" zur Matthäusgemeinde Leipzig Nordost. Was vielfach als Abenteuer begann ("geschmuggelte" Baumaterialien zur ersten Kirchensanierung) hat sich mit der Wende zu einem zuverlässigen und beständigen Austausch gewandelt. Annegret Sauthoff hat die Partnerschaft viele Jahre begleitet und für uns aufgeschrieben. Hier ist ihre Geschichte:
Osnabrück – Leipzig – Limbàzi: Von Patenschaft zur Partnerschaft
Bereits in den 1970-ger Jahren hat sich eine Partnerschaft zwischen Osnabrück und Leipzig entwickelt. Hauptsächlich gab es im Rahmen einer sogenannten Patenschaft Brief- und Päckchensendungen an die „Brüder und Schwestern im Osten“. Ab 1980 wurde die Beziehung zwischen der Thomas- und Matthäus-Kirche in Osnabrück und der Gedächtniskirche in Leipzig-Schönefeld von Jahr zu Jahr enger. Und im Laufe der Zeit waren dann auch Besuche bei unserer Partnergemeinde in der DDR möglich. Das konnte allerdings nur zur Zeit der Leipziger Messe organisiert werden.
Ich bin das erste Mal 1988 mit einer Gruppe aus Osnabrück nach Leipzig gefahren, und das war eine abenteuerliche Reise. Aber es gab viele positive Dinge bei dem Besuch in unserer Partnergemeinde, denn die Menschen mit ihrem festen Glauben und ihrem unermüdlichen Einsatz für ihre Kirche haben mich sehr beeindruckt.
Was die Wende veränderte - Willkommen Limbàzi
Und dann kam die Wende! Durch die friedliche Revolution ist am 9. November 1989 die Mauer gefallen, und die Grenzen waren offen. Jetzt mussten wir lernen, mit dieser unglaublichen Situation umzugehen. Bald war die DDR Geschichte, und seit dem 3. Oktober 1990 feiern wir jedes Jahr den Tag der Deutschen Einheit. Bei einem Treffen der Kirchenvorstände aus Osnabrück und Leipzig wurde dabei über den weiteren Verlauf und die Zukunft der Partnerschaft beraten. Wie sollte es weitergehen? Die Leipziger erklärten, sie hätten die Partnerschaft in den letzten 20 Jahren so intensiv erlebt, dass sie diese positiven Erfahrungen an Dritte weitergeben wollten. Man war sich schnell einig, eine Gemeinde im Baltikum zu suchen. Mit Hilfe des Martin-Luther-Bundes sind bald erste Kontakte mit der Ev.-luth. Kirchengemeinde in Limbàzi geknüpft worden. 1993 hat sich eine Delegation aus Osnabrück und Leipzig auf den Weg nach Lettland gemacht, und während des Stadtjubiläums – 770 Jahre Limbàzi – ist es zu den ersten persönlichen Begegnungen gekommen. Bereits ein Jahr später besucht eine Gruppe der lettischen Partnergemeinde Osnabrück, und dabei wachsen besondere Beziehungen und Freundschaften. 1995 machen sich einige Osnabrücker und Leipziger auf den Weg nach Limbàzi. Ich bin das erste Mal dabei, und es ist für mich ein unglaublich beeindruckendes Erlebnis mit herzlichen und intensiven Kontakten. Eine besondere Erfahrung die gezeigt hat, wie sehr über die äußerst wichtige finanzielle Unterstützung hinaus die persönlichen Begegnungen zählen und Brücken bauen.
Ein Gemeindehaus entsteht -
Eine vierköpfige Deligation des Kirchenvorstandes der Matthäus-Kirche reist 1997 von Osnabrück nach Limbàzi. Es geht um ein besonderes Projekt: Ein ca. 140 Jahre altes Gebäude, das gegenüber der ev.-luth. Kirche in Limbázi steht, soll saniert und umgebaut und nach der Fertigstellung als Gemeindehaus genutzt werden. Nach ausführlichen Beratungen wird dieses Vorhaben von Osnabrück und Leipzig unterstützt und auf den Weg gebracht. 1998 ist es soweit! Der Umbau des neuen Gemeindehauses soll beginnen, und im Juli macht sich eine Arbeitsgruppe aus Osnabrück und Leipzig auf den Weg nach Limbázi. Das „neue“ Gemeindehaus in zentraler Lage gegenüber der Kirche passt sehr gut in das Stadtbild, aber der Zustand des alten Gebäudes bedeutet für alle Helfer eine besondere Herausforderung. Es müssen Öfen abgetragen, Wände herausgeschlagen werden, um größere Räume zu schaffen, und Fußböden und Deckenbretter fallen der Brechstange zum Opfer. Dann muss der ganze Bauschutt abtransportiert werden. Eine Woche lang wird täglich, auch unter Mithilfe einiger Gemeindeglieder, mit einfachen Hilfsmitteln schwer gearbeitet, um das marode Gebäude für den weiteren Umbau vorzubereiten. Der Anfang ist geschafft!
Anlässlich der Einführung des neuen Pastors in Leipzig-Schönefeld macht sich die Vorsitzende des Kirchenvorstandes in Limbàzi auf den Weg nach Sachsen und dankt dort für die aufrichtige „Sprache des Herzens“. Bei einer Sitzung des Kirchenvorstandes der Gedächtniskirche berichtet sie über ihre Gemeinde und die Bausituation des Gemeindehauses. Inzwischen gehen die Arbeiten durch den Einsatz eines städtischen Baupflegers und zwei Bauarbeiter gut voran. Beim zweiten Arbeitseinsatz im Juli 2000 in Limbazi werden unter enormen Kraft- anstrengungen sämtliche Fenster des künftigen Gemeindehauses ausgetauscht und viele andere Aufgaben erledigt. Aber neben der Arbeit kommen die herzlichen Kontakte mit den Gemeindegliedern in Limbàzi keineswegs zu kurz.
Jubiläen und noch mehr Baueinsätze
Bereits im Oktober 2000 findet das nächste Partnerschaftstreffen statt. In Osnabrück wird das 40-jährige Kirchweihjubiläum der Matthäus-Kirche mit einem ganz besonderem Programm gefeiert. Ein Jahr später treffen wir zum Reformationstag in Leipzig-Schönefeld erneut mit einer Gruppe aus Limbàzi zusammen und erfahren im Rahmen dieser Begegnung eine wunderbare Gemeinschaft. Der dritte Arbeitseinsatz in Limbàzi findet im Juli 2002 statt. Mit einigen Jugend- lichen aus der Gemeinde arbeiten wir am weiteren Ausbau des Gemeindehauses. Dabei werden Innenwände gemauert, der Boden geebnet, der Zwischenboden eingezogen und der Dachstuhl ausgebessert. Außerdem wird mit einigem Aufwand auf einem ziemlich verwilderten ehemaligen deutschen Friedhof eine kleine Gedänkstätte eingerichtet. Die große und herzliche Gastfreundschaft zeigt sich besonders darin, dass wir an jedem Abend eingeladen sind. 2003 besteht die Partnerschaft Osnabrück – Leipzig – Limbàzi 10 Jahre, und das muss gefeiert werden! Gäste aus Limbàzi kommen nach Osnabrück und erleben ein wunderbares Programm. „Partnerschaft hat einen Grund – Jesus Christus“ - das ist das vertraute Motto. Denn alle, die diese Tage der Begegnung miterleben, werden etwas von diesem Geist Jesu Christi spüren, der die Menschen beflügelt und fröhlich macht. Dann der gemeinsame Aufbruch nach Leipzig, wo am Abend in der Gedächtniskirche der Gottesdienst zum Reformationsfest gefeiert wird, und es folgen beeindruckende Begegnungen und Erlebnisse. Die Baumaßnahmen im Gemeindehaus in Limbàzi sind noch lange nicht abgeschlossen, und im Juli 2004 treffen wir uns wieder zum Arbeitseinsatz. Dabei zeigt sich, dass sich „Experten“ und „angelernte Hilfskräfte“ gut ergänzen und viel schaffen können. Doch es ist nicht nur die Arbeit, die die Lettlandreise zu einem unvergesslichen Erlebnis macht, wir dürfen wieder einmal die großartige Gastfreundschaft unserer lettischen Freundinnen und Freunde erfahren. Es folgen besondere Ausflüge durch die beeindruckende lettische Landschaft und zum Abschluss ein Gemeindefest im alten Gemeindehaus am See. Dann müssen wir leider mit Wehmut Abschied nehmen.
Die Partnergemeinden gehen mit ihren Aktionen auch neue Wege. In Osnabrück heißt es am 19. Juni 2005 “Nach dem Segen auf die Strecke...“ Es wird ein Sponsorenlauf rund um die Matthäus-Kirche ausgetragen, und der Erlös soll die Gemeinde in Limbázi unterstützen. In diesem Jahr treffen wir uns auch auf dem Ev. Kirchentag in Hannover, fahren mit einer Gruppe im Juli nach Limbázi und sind zum Reformationsfest zusammen in Leipzig eingeladen. Im Mai 2006 ist in Osnabrück wieder das Lauffieber für die gute Sache ausgebrochen und hat damit etliche Scheine in die Sponsorenkasse geliefert. Bereits kurze Zeit danach macht sich eine Gruppe aus Osnabrück und Leipzig zum Baueinsatz auf den Weg nach Limbázi. Die Leipziger widmen sich dem Innenausbau, und die Osnabrücker nehmen die linke Giebelseite von außen in Angriff. Es wird festgestellt, dass im Erdgeschoss des Gemeindehauses mitlerweile alles fertig ist und ausgiebig genutzt wird. Und somit ist es wohl der letzte Baugeinsatz gewesen. Bei diesem Besuch in Lettland ist eine Fahrt nach Salapils, dem ehemaligen KZ in der Nähe von Riga, ein sehr ergreifendes Erlebnis, denn es ist bekannt, dass auch viele Osnabrücker Juden dort eingeliefert und auch umgekommen sind. Erfreulich sind wieder die Kontakte und Einladungen in Limbázi, wodurch eine besondere Gemeinschaft erlebt wird.
Nach dem Abschluss der Baueinsätze hat die Gemeinde in Limbázi dafür plädiert, bei den traditionellen Partnerschaftstreffen in Osnabrück und Leipzig mit einbezogen zu werden. Ein guter Vorschlag, und so findet das Treffen 2007 in Limbázi mit einem besonderen Programm und vielen intensiven Begegnungen statt. Im Oktober 2008 erfahren wir von einem besonderen Projekt. Das Dach der Kirche in Limbazi ist in die Jahre gekommen und muss dringend erneuert werden. Es soll bis zum Stadtfest am 18. November fertig sein. Aber das kostet natürlich eine Menge Geld! Den Hilferuf haben wir verstanden und denken über verschiedene Möglichkeiten nach. Nach vielen Überlegungen haben wir eine besondere Idee – wir planen einen „Ziegelsonntag“. Ein Gemeindemitglied hat aus alten Kirchen- bänken, die eigentlich entsorgt werden sollten, eine Holzkirche mit Glasfernstern und Beleuchtung gebaut. Das Einzige, was an dem Kirchenmodell fehlt, sind die Dachziegel. Und diese kleinen Ziegel aus Pappe werden am Ziegelsonntag nach dem Gottesdienst verkauft, bis das Kirchendach vollständig gedeckt ist, und das hat schnell geklappt. Während dieser Zeit können sich alle mit Soljanka versorgen, die der Männerkochclub der Matthäus-Kirche zubereitet hat. Das Ergebnis dieser Aktion ist grandios!
Die Gemeinden in Osnabrück und Leipzig haben durch viele verschiedene Aktivitäten finanzielle Mittel gesammelt, um die Partnergemeinde in Limbazi zu unterstützen. Es ist immer wieder beeindruckend, wenn wir bei unseren Besuchen oder im Internet z, B. die Sanierungsmaßnahmen in der Kirche verfolgen können.
Und wie geht es mit der Partnerschaft weiter?
In jedem Jahr findet abwechselnd ein Treffen statt mit interessanten Programmen und Begegnungen, und daran möchten wir weiterhin festhalten und mitarbeiten.
(Annegret Sauthoff)
Nach vielen herzlichen und bewegenden Begegnungen hat die ehemalige Vorsitzende der Gemeinde in Limbazi einmal gesagt:“Ein feiner Faden wird schon mehrere Jahre lang zwischen den Gemeinden Leipzig, Osnabrück und Limbázi gesponnen. Die nationale Zugehörigkeit spielt dabei keine Rolle. Hier spricht das Herz, und die Sprache des Herzens ist wahr und aufrichtig.“ Wir sind dankbar für alle Erfahrungen, die wir im Rahmen dieser Partnerschaft gemacht haben und vertrauen weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit im Geiste Jesu Christi.